von Michael Käding
Um die Jahrhundertwende war die junge Automobilbauindustrie auschließlich von zahlreichen kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt. Allein in Deutschland existierten zwischen 1885 und 1920 mehr als hundert verschiedene Unternehmen, die häufig ebenso schnell wieder vom Markt verschwanden, wie sie entstanden waren. Mindestens sieben davon befanden sich in Aachen: Mit den Werken von FAFNIR, CUDELL, BÜSSING, SCHEIBLER, MANNESMANN-MULAG, GOOSSENS, LOCHNER & Co. und TALBOT besaß die Stadt sogar eine der höchsten Dichten von Automobilfabriken in ganz Deutschland. Heute ist dies kaum mehr bekannt. Lediglich die Firma Talbot hat das Markensterben der zwanziger Jahre überlebt. Freilich werden dort längst keine Automobile mehr produziert.
Die AACHENER STAHLWARENFABRIK-FAFNIRWERKE AG war das erfolgreichste, auch international bekannte Unternehmen, das sich in Aachen in mit der Produktion von Motoren und Automobilen beschäftigte. Bei der Gründung war dies nicht absehbar. Als Zweigniederlassung der traditionsreichen, international prämierten Iserlohner Firma CARL SCHWANEMEYER begann das Werk am 10. April 1894 in einer kleinen, ortstypischen Hinterhoffabrik an der Burtscheider Roonstraße Nr. 3 mit der Produktion von Nähmaschinennadeln.
Von der Nadelfabrik zum Automobilproduzenten
Der erste Anlaß zur Ausweitung der Produktpalette ergab sich aus dem Aufstieg des Fahrrads zum ersten Massenverkehrsmittel. Fahrradspeichen und Nadeln waren sich in ihren Eigenschaften und hinsichtlich der Produktionsverfahren so ähnlich, daß sich die AACHENER STAHLWARENFABRIK entschloß, deren Produktion aufzunehmen. Mit Erfolg, schon bald gehörte das Unternehmen zu den größten Herstellern von Fahrradbestandteilen in Deutschland. 1897, wurde der Firmensitz von der Roonstraße in ein größeres Werk im neuen Industriegebiet an der Jülicher Straße verlegt. Im nächsten Jahr erfolgte die Umwandlung der erfolgreichen Zweigniederlassung in eine unabhängige Aktiengesellschaft.
Nach dem Eintrag in das Gesellschaftsregister scheint sich das Unternehmen 1898 noch ausschließlichauf die Geschäftszweige Nadeln und Fahrradbestandteile konzentriert zu haben. Schon bald darauf machte die Absatzkrise in der Fahrradindustrie aber eine erneute Umstellung notwendig. Das Unternehmen erkannte den allgemeinen Trend zur Motorisierung, 1886 eingeleitet von den Pionieren Benz, Daimler und Maybach, und begann 1899 mit der Produktion von Einbaumotoren für Motorräder und Automobile. Charakteristisch für die Aggregate war das im Zylinderkopf hängende Einlaßventil, das durch Stoßstange und Kipphebel betätigt wurde. Die Auslaßventile waren seitlich stehend angeordnet. Nach und nach wurde das Programm um Getriebe, Kupplungen, Achsen, Bremsen, Gelenkwellen, Lager und Steuerungen ergänzt. Hinzu kamen unterschiedliche stationäre Antriebsmaschinen für die Industrie und Landwirtschaft. Qualitativ hochwertig, preiswert und zuverlässig erfreuten sich die Motoren der AACHENER STAHLWARENFABRIK schon bald einer hohen Beliebtheit. In Deutschland zählten unter anderem Rex Simplex, Horst Steudel, Cito als Produzenten von Motorrädern und leichten Automobilen zu den Kunden. Das Unternehmen lieferte aber auch ins Ausland. In England wurde z.B. das Phönix-Quadcar jahrelang mit Motoren aus Aachen ausgerüstet. Angeboten wurden die Erzeugnisse seit 1902 unter dem Markennamen 'FAFNIR'. Zwei Jahre später kam der charakteristische Drache hinzu, dessen Körper die Buchstaben 'ASA' (=Aachener Stahlwarenfabrik AG) umschlang. Die auf die Kraft des Verbrennungsmotor hinweisende Darstellung des Drachen Fafnir aus der Nibelungensage sollte später den oberen Teil des Kühlerrahmens der FAFNIR Automobiele zieren.
Die im Frühjahr 1895 einsetzende Hochkonjunkturwelle beeinflußte und förderte auch auch die weitere Entwicklung des Fahrzeugbaus in Deutschland. Die Automobilindustrie war den Kinderschuhen längst entwachsen, als die etablierten Betriebe dazu übergingen, Motoren und andere Einzelteile selbst zu produzieren. Nolens volens mußte die AACHENER STAHLWARENFABRIK den umgekehrten Weg gehen. Nach den ermutigenden Erfahrungen als Zulieferer nahm sie die Produktion vollständiger Fahrzeuge auf. Von 1904 bis 1925 entwickelte sich das Unternehmen schrittweise zu einem kleinen, aber anspruchsvollen Automobilproduzenten. Zwar reichten die Stückzahlen nie an jene von Daimler, Benz, Opel, Stoewer und andere renommierte Marken heran, doch gehörten die sehr fortschrittlichen und leistungsfähigen Wagen- und Motorenkonstruktionen in mancher Hinsicht zu den modernsten auf dem deutschen Markt. Die Fahrzeuge waren "geschickt konstruiert, aus erstkl. Materialien auf's gewissenhafteste ausgeführt und zeichneten sich durch fast völlige Geräuschlosigkeit der arbeitenden Teile, durch schnellen Lauf und nicht zuletzt durch äußerste Betriebssicherheit aus". Besonders in den letzten Jahren vor dem 1. Weltkrieg erfreuten sich die Fahrzeuge aufgrund ihrer Zuverlässigkeit und Bedienungsfreundlichkeit auch im Ausland einer hohen Markentreue. Auf den Londoner Olympia-Ausstellungen waren die Aachener von 1912-1914 stets mit einem eigenen Stand vertreten. Wegen des Erfolges der Automobile erfolgte dann im Jahr 1912 die Umbenennung des Werks in 'FAFNIR-WERKE AG (AACHENER STAHLWARENFABRIK)'.
Die Fahrzeuge
Der Übergang des Unternehmens von einer Motoren- und Zulieferfabrik zum Automobilproduzenten erfolgte in Etappen. Er begann mit einer Pioniertat, die in den fünfziger Jahren vor allem in England wieder populär werden sollte: das do-it-yourself-Auto. Das 1904 entwickelte System 'Omnimobil' umfaßte alle für den Selbstbau erforderlichen Einzelteile, die nach einer Bauanleitung zu einem leichten Motorwagen montiert werden konnten. Zunächst wurde der Bausatz mit einem Zwei-Zylinder Aggregat zu 6 PS ausgeliefert, später folgte eine leistungsstärkere Maschine mit vier Zylindern zu 16 PS. 1908/09 begann der Herstellung von 'schlüsselfertigen' Automobilen unter dem Markennamen FAFNIR. Zunächst wurden lediglich zwei Typen produziert; der 274er erreichte bei einer Leistung von 6/14 PS eine Höchstgeschwindigkeit von 55-60 km, der 284er mit 8/16 PS bereits stattliche 70 km in der Stunde. Aufgrund der raschen Entwicklung der jungen Fahrzeugindustrie wurden sie bereits 1911 durch modernere Modellreihen ersetzt.
Anders als bei heutigen Fahrzeugen folgte ihre Konstruktion dem Baukastenprinzip. Die selbsttragende Karosserie wurde erst 1913 von der englischen Firma Lagonda entwickelt und setzte sich nur langsam durch. Das Chassis mit Rahmen, Motor, Getriebe und hölzernen Speichenrädern konnte mit unterschiedlichen Aufbauten erworben werden oder wurde vom Käufer mit einer Karosserie nach eigenen Vorstellungen ergänzt. Ein Verkaufskatalog der Firma berichtet für das Jahr 1912/13 von sechs Fahrgestelltypen und sieben verschiedenen Aufbauvarianten. So konnten zum Beispiel die Modelle 374 und 384 wahlweise als sportlicher Phaeton oder Doppelphaeton für zwei oder vier Personen, als Landaulet, Limousine, Salon-Limousine und als offener oder geschlossener Lieferwagen bezogen werden.
Die Varianten entsprachen dem Zeitgeist des Wilhelminismus. So wurden die offenen Typen von sportlichen 'Herrenfahrern' bevorzugt, während die großen Limousinen von einem Chauffeur gelenkt wurden, mit dem die Herrschaften im geschlossenen Fond durch ein Sprachrohr kommunizierten. Die "Vordere Glasscheibe", "Beleuchtungs-, Hupen- und Schildergarnitur", "Kilometerzähler" oder das "Verdeck aus Segeltuch" galten als bewährte Extras, die nicht im Listenpreis inbegriffen waren, sondern gesondert bezahlt werden mußten. Fahrtrichtungsanzeiger gab es weder serienmäßig noch als Sonderausstattung. Sie waren noch nicht erfunden. Allen Wagen gemeinsam war die heute ungewöhnliche Position des Fahrers auf der rechten Fahrzeugseite, die noch vom Kutschenbau übernommen worden war. Die Preise reichten von 4100 Reichsmark für das Basismodell 266 in offener Phaetonbauweise (ohne ‘Extras‘) bis zu über 16000 Reichsmark für die Salon-Limousine des Typs 394, das luxuriöse Flaggschiff der FAFNIR-WERKE in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Leisten konnten sich das die wenigsten. So lag der Jahresdurchschnittslohn eines Industriearbeiters beim Aachener-Hütten-Aktien-Verein Rothe Erde in einem vergleichbaren Zeitrahmen bei rund 1340 Reichsmark
Der Typ 472 von 1914 war lange Zeit das technische Aushängeschild der Fafnir-Werke. Mit dem zu einem Block zusammengefügten Motor und Getriebe gehörte er zu den fortschrittlichsten Automobilkonstruktionen der Vorkriegszeit. Durch einen niedrigen Schwerpunkt verfügte er über ausgezeichnete Fahreigenschaften. Konzipiert war er für den Selbstfahrer, der sich um die Wartung und Pflege seines Wagens nicht allzuviel kümmern wollte und eine einfache Bedienung bei hohem Komfort verlangte. Um Ölspritzer zu vermeiden, wurden die gesamten Antriebsteile dehalb von einer zentralen Ölwanne unter dem Spritzbett geschmiert. Die Bremsen konnten durch einfache Handräder selbst nachgestellt werden. Als eines der ersten Automobile war er darüber hinaus mit einer bequemen, erst kurz zuvor entwickelten Innenschaltung ausgerüstet.
Im wesentlichen unverändert wurde das Modell zusammen mit den Typen 466 und 384 noch sechs Jahr lang weitergebaut. Lediglich die Leistung der Motoren und die Höchstgeschwindigkeiten wurden - damals wie heute - ständig erhöht. Dann galten die Fahrzeuge als veraltet. Durch den Krieg hatte der deutsche Automobilbau gegenüber der ausländischen Konkurrenz an Boden verloren. Um wieder Anschluß zu gewinnen, mußten völlig neue Typen entwickelt werden. 1920 erschienen dann die ersten fabrikneuen Nachkriegsfahrzeuge. Und bereits zwei Jahre später konnte FAFNIR wieder eine ganzes Sortiment von technisch wie optisch ansprechenden Sportwagen und Limousinen anbieten, die auf einem Einheitsgestell montiert waren.
Das Werk
Der Firmensitz und Produktionsstandort der FAFNIRWERKE befand sich seit 1896 an der Jülicher Straße 236 (heute Nr. 334). Das Verwaltungsgebäude, ein stattlicher dreistöckiger Bürobau aus der Zeit um 1900, und die Fabrikhalle werden noch heute zu unterschiedlichen industriellen Zwecken genutzt. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg des Unternehmens wurde der Produktionsstandort ständig vergrößert. 1922 umfaßte das Betriebsgelände eine Fläche von ungefähr 3 ha, auf dem die einzelnen Gebäude des Werks entsprechend der Fabrikation geordnet lagen. Über den einzelnen Werkstätten ragte ein stolzer, 1913 vollendeter fünfstöckiger Hochbau in Stahlbetonbauweise mit einer angegliederten Werkzeugmaschinenhalle. Auf rund 10000 lichtdurchfluteten Quadratmetern konzentrierte sich hier die Automobil- und Motorenfabrikation der Fafnirwerke. Durch seitlich installierte Aufzüge mit bis zu 5000 kg Tragfähigkeit konnten Motoren, Wagenteile und komplette Fahrzeuge den einzelnen Abteilungen zur Weiterverarbeitung zugeführt werden.
In der Werkzeugmaschinenhalle befand sich die mechanische Abteilung mit der Dreherei und Fräserei. Von hier aus wurden die fertigen und geprüften Einzelteile in das Hauptlager in der dritten Etage befördert. Von dort gelangten sie an die verschiedenen Abteilungen der Einzelmontage, die sie zu fertigen Getrieben, Achsen, Vergasern und Motoren zusammenbauten. Wieder zurück in der zweiten Etage des Hochbaus, wurden sie dann in den Chassisrahmen eingebaut. Noch ohne Karosserie ging es nun zu einer ersten Probefahrt in die Eifel. Hatten die Fahrzeuge diese ohne Beanstandung überstanden, wurden sie im ersten Stock mit einer Karosserie versehen, mehrfach lackiert und mit den verschieden Zubehör- und Ausstattungsgegenständen ausgerüstet. Nach einer weiteren Probefahrt durch die Einfahrabteilung gelangten sie dann in den Verkauf. Das umfangreiche Rohlager war in verschiedenen separaten Schuppenbauten und im Kellergeschoß des Hochbaus untergebracht. Die Ingenieur- und Entwicklungsabteilung befand sich im obersten Stock des Verwaltungsgebäudes. Die Belegschaft der FAFNIRWERKE wuchs schnell. 1913 betrug sie nach Auskunft des damaligen Direktors Gaedke anläßlich eines Besuches des Aachener Gewerbevereins ungefähr 700 bis 800 Arbeiter, von denen freilich nur die Hälfte unmittelbar mit der Automobilproduktion beschäftigt war. Doch nahm ihr Anteil an diesem immmer bedeutenderen Geschäftszweig ständig zu.
Großer Wert wurde auf fortschrittliche Produktionstechniken gelegt. Etwas Lokalpatriotismus mag freilich im Spiel gewesen sein, als das Unternehmen 1922 als "weltbedeutender Spezialbetrieb" gewürdigt wurde, "der - alle Errrungenschaften von Wissenschaft und Technik auswertend - Garantien dafür bietet, daß seine Fabrikate als erstklassig zu bezeichnen sind". Hinsichtlich der Qualität der Fahrzeuge mochte dies vier Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schon wieder gelten. Doch die großzügigen Produktionsverhältnisse mit einem teuren Maschinenpark, den aufwendigen Prüfstationen und Testabteilungen, dienten wie vor 1914 in erster Linie der Fertigungspräzision, nicht der Beschleunigung des Fertigungsprozesses. Die Produktionsverfahren waren deshalb bis zum Schluß eher handwerklich geprägt und litten darüber hinaus unter einem Mangel an erfahrenen Facharbeitern. Mit viel Liebe zum Detail wurde"gebastelt", "ausprobiert" und "von Hand gefertigt", bis "die Teile paßten und gut aussahen".
Doch inzwischen hatten sich die industriellen Standards verändert. Mit der Einführung des Montagefließbands durch Ford begann im Jahr 1913 die Rationalisierung der Automobilindustrie. Opel führte das Fließband 1924 in Deutschland ein. Für eine vergleichbare Umstellung waren die Fafnir-Werke viel zu klein. So belief sich im Jahr 1922 die Produktion monatlich auf nur 50-70 Personenwagen in unterschiedlichen Varianten. Dennoch war man aufgrund der Qualität der Fahrzeuge zu diesem Zeitpunkt noch optimistisch, daß "den Fafnir-Autos auch in Zukunft erfolgreiche, flotte Fahrt beschieden sei". Und tatsächlich konnte die Produktion bis 1925 noch einmal auf rund 120 Automobile pro Monat gesteigert werden. Zum Vergleich: Opel stellte im gleichen Jahr täglich 125 Fahrzeuge her, während die Tagesproduktion des T-Modells von Ford in den USA 7000 Stück betrug.
Der Rennstall
Autorennen sind fast so alt wie das Auto selbst. Hervorgegangen sind sie um die Jahrhundertwende aus Zuverlässigkeitsprüfungen, die von Sponsoren und Produzenten ins Leben gerufen worden sind. Ein erfolgreicher Dauereinsatz unter schwierigen Bedingungen galt als Maßstab für die Qualität der Fahrzeuge, auch wenn die siegreichen Rennwagen schon bald nur noch wenig mit den freiverkäuflichen gemein hatten. Ähnlich wie heute war der Automobilsport aber auch ein bedeutender Schrittmacher der Fahrzeugindustrie. Zahlreiche technische Neuerungen fanden über die Rennwagen Zugang in die spätere Serienproduktion.
Für ein Unternehmen wie FAFNIR, daß vor allem mit der "Schnelligkeit" und "höchst erreichbaren Betriebssicherheit" seiner Fahrzeuge warb, war es natürlich eine Ehrensache, sich an den verschiedenen Konkurrenzen zu beteiligen. So fand auch die seit Beginn des Jahrhunderts (vergeblich) erwogene Idee einer 100 Kilometer langen Rennstrecke rund um Aachen mit dem Architekturprofessor Georg Frentzen als Mitglied des Aufsichtsrates einen ihrer eifrigsten Propagandisten. Vor allem der Miteigentümer und Werksdirektor Springsfeld betrieb seit Beginn der 20er Jahre den Aufbau eines regelrechten Rennstalls. Die sechs 'Boliden' mit zwei Litern Hubraum und rund 6/36 PS waren Spezialanfertigungen, die nicht in den Handel kamen. Die größten Erfolge hatte das Werk in den Jahren zwischen 1922 und 1924. Vor allem auf der Hausstrecke, dem Eifelrennen um Nideggen, Vorläufer des Nürburgrings, erlangte man achtbare vordere Plätze. Größter Erfolg war hier der Sieg des FAFNIR-Piloten Jacobs aus Aachen im Jahr 1924.
Doch gab es auch Rückschläge: 1922 gelang es zwei Fafnir-Wagen bei den "außerordentlich scharfen Zerreißproben" auf der AVUS im Berliner Grunewald noch "ohne jede Betriebsstörung in allgemein auffallender gleichmäßiger Fahrt mit einigen Sekunden Zeitunterschied mit in Front das Rennen zu beenden". Entsprechend hoch waren die Erwartungen im folgenden Jahr. Doch geriet die Teilnahme des FAFNIR-Rennstalls an dem bedeutendsten Rennen Deutschlands diesmal zum Fiasko. Die Wagen hatten die 700 Kilometer von Aachen nach Berlin noch selbst zurückgelegt (!) und erreichten ihr Ziel zum Teil defekt oder heiß gefahren, ungenügend gewartet und zu spät, um noch angemessen trainieren zu können. Rückblickend mag die Episode als liebenswürdiger Fehlschlag aus der Steinzeit des Rennsports belächelt werden, doch stellte sie auch damals schon das Prestige des ganzen Werks in Frage und kostete außerdem sehr viel Geld. Wie überhaupt die Entwicklung und der Unterhalt des ganzen Rennstalls. Der Niedergang des Unternehmens sollte freilich andere Ursachen haben.
Die Namen der meisten Fafnir-Piloten - Uren, Muller, Hirth, Utermöhle und Jakobs - sind heute nur noch wenigen Spezialisten bekannt. Mit Ausnahme des Mannes, den zahlreiche Fachleute später als den besten Rennfahrer der Zwischenkriegszeit bezeichneten - Rudolf Caracciola. Durch persönliche Beziehungen gelangte er 1921 als sogenannter Volontär in die Einfahrabteilung des Unternehmens, wo er schnell auf sich aufmerksam machte. Als Fahrer sammelte er seine ersten Rennerfahrungen auf dem Eifelrennen und der Avus, wo er 1922 einen respektablen fünften Platz belegte. Größere Erfolge konnte er jedoch trotz seines Talents bei den FAFNIRWERKEN nicht mehr erringen. Bereits 1923 wechselte er als Rennfahrer zu Mercedes, womit er 1926 mit einem Sieg auf der AVUS den Grundstein für seine Karriere als Rennfahrer legte.
Boom und Niedergang
Nicht nur in rennsportlicher Hinsicht schienen die FAFNIR-WERKE die verschiedenen Krisen der Nachkriegsjahre relativ schnell überwunden zu haben. Zwar verhinderten zunächst die hohen Reparationszahlungen des Versailler Vertrags einen Anstieg der Nachfrage, dann aber profitierte das Unternehmen von der Nachkriegsinflation. Durch die allgemeine 'Flucht in die Sachwerte' erlebte die deutsche Automobilindustrie geradezu einen Boom und bescherte auch FAFNIR hohe Gewinne bei minimalen Kosten. Die rund zweijährige Scheinblüte verhinderte aber auch eine rechtzeitige Anpassung an modernere Produktionstechniken und Modelle. Als der Oberingenieur Rau dem Werksdirektor Springsfeld das Konzept eines preiswerten Kleinwagens, ähnlich dem später so erfolgreichen Opel Laubfrosch, unterbreitete, lehnte dieser empört ab.
Mit der Währungsreform Ende 1923 war der Zenit überschritten. Ebenso wie zahlreiche andere Firmen litten die FAFNIR-WERKE nun unter den zunehmenden Problemen der inländischen Kraftfahrzeugbranche. Veraltete Produktionsmethoden, zu große Fahrzeugtypen und zu viele Modelle, ungenügende Normung der Einzelteile und die hohe Besteuerung des 'Luxusartikels' Auto, das noch längst kein Massenverkehrsmittel war, wirkten sich hemmend auf die Wettbewerbsfähigkeit aus. Hinzu kam die ausländische Konkurrenz. 1925 mußten auf amerikanischen Druck die Schutzzölle auf importierte Automobile aufgehoben werden. Nun überschwemmten billige amerikanische Massenfahrzeuge den Markt. Das Todesurteil für rund 70% der deutschen Automobilproduzenten.
Zwar erreichte das Unternehmen 1925 noch einmal einen Produktionsrekord an Automobilen, doch wurde es immer schwieriger, die Fahrzeuge auch abzusetzen. Der Markt war gesättigt und mit der "weiteren Verschlechterung der allgemeinen Wirtschaftslage kam der Absatz...fast zum Stillstand". Auch war FAFNIR trotz der anerkannten Qualität der Fahrzeuge keine Nobelmarke, für die jeder Preis verlangt werden konnte (selbst leitende Angestellte, wie der Oberingenieur Rau, fuhren Mercedes). Also mußten die Preise gesenkt werden. Die letzten Fahrzeuge wurden mit durchschnittlich 5000 Reichsmark deutlich unter Wert verkauft. Aufgrund der sinkenden Einnahmen konnten schließlich die Lieferanten nicht mehr bezahlt und vergebene Aufträge mangels Bestellungen nicht mehr abgenommen werden. Als sich die Verbindlichkeiten Ende 1925 auf 1,8 Millionen Reichsmark bei 217 Gläubigern beliefen, übernahmen die Banken die Geschäftsaufsicht. Ein zweites wirtschaftliches Standbein, wie die Nadel- und Zubehörproduktion, hätte das Werk unter Umständen noch retten können, doch waren diese Geschäftszweige inzwischen vollständig aufgegeben worden. Gegen Ende des Jahres 1925, auf dem Höhepunkt der deutschen Automobilkrise, mußten die Fafnirwerke Konkurs anmelden. Als sich im folgenden Jahr die allgemeine Nachfrage wieder langsam erholte und manche Konkurrenten für 1927 schon wieder "nennenswerte Neueinstellungen von Arbeitern und Angestellten" erwarteten, befand sich das Unternehmen bereits in der Liquidation.
Ausgewählte Literatur
Zur Automobilgeschichte in Deutschland:
- Hans Heinrich von Fersen, Autos in Deutschland, 1885-1920. Eine Typengeschichte, Stuttgart 1965
- Enzyklopädie des Automobils. Marken, Modelle, Technik, Augsburg 1995
Zur Geschichte des Automobilbaus in Aachen:
- Norbert Gilson, Zu Fuß durch Aachens Industriegeschichte (=Aachener Spaziergänge Band 5), Aachen 1998
- Volker Hepple, Streiflichter der industriellen Entwicklung. Der Aachener Wirtschaftsraum in den Jahren 1850 - 1950, in: 125 Jahre Verein Deutscher Ingenieure, Aachener Bezierksverein, Aachen 1981
- Günther Schnuer, Der Automobilbau in Aachen. Ein Beitrag zur Technik- und Industriegeschichte der Aachener Region (1896- 1928), Aachen 1990
Zur Nadelfabrik Carl Schwanemeyer:
- Alfons Christophery, Nadelfabrik Carl Schwanemeyer 1845 - 1936, in: Beiträge zur Heimatkunde für Iserlohn und den märkischen Raum, Bd. 10 (1990 - 91)
Fafnir-Kataloge, -Selbstdarstellungen u.ä.:
- Deutscher Architektur und Industrie-Verlag (Hg.), Deutschlands Städtebau - Aachen, Berlin-Halensee 1922
- Fafnir-Autos, Abmessungen, Gewichte, Preise, Katalog No. 146, [Aachen um 1912]
- Fafnir Autos. Fafnir-Werke AG, Aachen [Firmenbroschüre und Katalog, Aachen 1913]
- Fafnir-Autos. Stadt und Tourenwagen, Sport und Geschäftswagen, [Katalog, Aachen um 1922]
Zum Markenzeichen:
- Harald H. Linz, Automobil-Markenzeichen. Geschichte und Bedeutung, Augsburg 1995
Zur Entwicklung des Rennsports in Deutschland:
- Thomas Rehmet/Werner Schnur, Der Weg des deutschen Automobilsports von den Anfängen bis ins Dritte Reich - oder Rennsport unterm Hakenkreuz, Frankfurt a.M., 1993
(Der vollständige Anmerkungsapparat findet sich in der gedruckten Fassung.)