von Jochen Buhren
Die Firma ´ESW-Röhrenwerke GmbH` in Eschweiler ist als einziger größerer Betrieb der Eisen- und Stahlindustrie in dem einstmals von Schwerindustrie geprägten Indetal zwischen Eschweiler und Stolberg verblieben.
Am Standort des heutigen Unternehmens existierte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts die Maschinenfabrik ´Englerth, Reuleaux & Dobbs`. Dieses 1818/19 auf der östlichen Seite der Inde gegründete Unternehmen gilt als eines der ältesten deutschen Werke für die Herstellung von Dampfmaschinen, Getriebeteilen, Gebläsemaschinen, Dampfhämmern, Transmissionen, Pumpenwerke und Fördermaschinen, also einer weit gefächerten Auswahl an Produkten für die zu diesem Zeitpunkt im Aufbruch befindliche Industrie. Einer der Gründer, Karl Englerth, ein Sohn der im Bergbau engagierten Christine Englerth, war gleichzeitig Mitbegründer einer Eisengießerei mit angeschlossenem Walzwerk.
Um 1830 firmierte das Unternehmen als ´Jos. Reuleaux & Cie.` und wurde 1847 von H. Graeser, dem früheren Leiter des Eschweiler-Bergwerks-Vereins (EBV), übernommen. Im gleichen Jahr verlegte man das Werk auf das westliche Indeufer, an der Stelle der heutigen ESW–Röhrenwerke. 1856 wurde den Werksanlagen eine Eisengießerei hinzugefügt. 1872 übernahm die nur wenige hundert Meter entfernt liegende Firma ´Englerth & Cünzer` das Unternehmen. ´Englerth & Cünzer` war ein kombiniertes Eisenguß-, Puddel- und Walzwerk, das seine Entstehung dem wachsenden Bedarf an hochwertigen Eisenprodukten verdankte, nicht zuletzt aufgrund der im Zuge des Eisenbahnbaus steigenden Nachfrage an Schienen und Blechen. Zu der Firmengruppe ´Englerth & Cünzer` gehörte daher seit 1873 auch ein Werk zu Herstellung von Rädern, Lokomotiv- und Wagenachsen, Radreifen und Eisenbahnwagen, sowie eine Dampfhammerschmiede und eine Fertigungsstätte für Brückenkonstruktionen. 1899 wurde ´Englerth & Cünzer` wieder aufgeteilt; das Werk am westlichen Indeufer wurde der neugegründeten ´Eschweiler Maschinenbau Aktiengesellschaft` übertragen, die sich 1906 mit der Firma ´Koch und Wellenstein` (Ratingen) zur ´Eschweiler-Ratinger Maschinenbauaktiengesellschaft` (ERMAG) zusammenschloß.
Als 1914 ein Großauftrag - ein komplettes Rohrwalzwerk für Schweden - aufgrund des Ausfuhrstopps nach Kriegsbeginn nicht zustande kam, begann man selbst mit der Fertigung von Rohren. Der Verkauf dieser Rohre war so erfolgreich, daß der Betrieb 1917 vollständig auf die Fabrikation von nahtlosen Stahlrohren umgestellt wurde. Zur Eigenversorgung mit Stahl baute man 1917 und 1919 zwei Siemens-Martin–Öfen, die bis zur Errichtung des Elektrostahlwerkes in Betrieb blieben.
1924 wurde das Röhrenwerk vom EBV übernommen und seiner Hüttenabteilung als Werk ´Ermag` eingegliedert. Mit der Roheisenproduktion in den zwei Hochöfen der Concordia-Hütte am nahegelegenen Ichenberg, einem Puddelwerk mit Walzwerk (in Eschweiler-Pümpchen), einem Stahlbau– Betrieb (in Eschweiler-Hasselt), welcher Hallenkonstruktionen, Fördertürme und Koksofenmaschinen herstellte, und dem Werk (Ermag) konnte der EBV eine große Auswahl an Produkten im Eisen- und Stahlsektor anbieten.
Nach 1945 mußten zunächst die zahlreichen Kriegsschäden in den EBV-Werken behoben werden. Da jedoch ein großer Teil der Anlagen veraltet war, wurden sie nach und nach modernisiert. Man hatte erkannt, daß die Hüttenbetriebe bei ihrer bescheidenen Größe angesichts der Konkurrenz von deutschen und europäischen Großbetrieben nur geringe Überlebenschancen hatten. Daher wollte man sich in Zukunft mehr auf Qualitäts- und Edelstähle konzentrieren. 1956 waren in allen Abteilungen der Hüttenbetriebe 2500 Mitarbeiter beschäftigt, die höchste Beschäftigtenzahl in der Geschichte des EBV. Im Zuge der Modernisierungsmaßnahmen wurden im Röhrenwerk die überalterten Pilgerstraßen 1953 und 1958 durch zwei neue ersetzt; ´Pilgerstraßen` bezeichnen jene Walzanlagen, in denen wie bei der Echternacher Springprozession (drei Schritte vor, zwei zurück) die zuvor unter hohen Temperaturen gewalzten Hohlblöcke durch wechselndes Vor- und Zurückschieben über einen Dorn zu nahtlosen Stahlrohren großer Länge gestreckt wurden.
Das Ausgangsmaterial für die Herstellung der Rohre, runde Stahlknüppel, wurde ab 1957 in dem neu errichteten EBV- Elektrostahlwerk auf dem Gelände der einstigen Concordia-Hütte geschmolzen. Erwähnenswert ist, daß der in den Elektro-Lichtbogenöfen geschmolzene Stahl nur bis 1964 in Kokillen gegossen wurde und danach in einer Kreisbogenstrang- gießanlage zu viereckigen und runden Strängen gegossen wurde – die weltweit erste Anlage dieser Art.
Absatzeinbrüche, Preisverfall und die Auswirkungen der Stahlkrise setzten auch die EBV-Hüttenbetriebe unter Druck. Trotz Stillegung der Schraubenproduktion (im Werk Aue) und der Stahlbauabteilung geriet man mehr und mehr in die Verlustzone. Neue Verfahren sollten die Hüttenbetriebe in die Gewinnzone zurückführen. Neben Modernisierungsmaßnahmen im Stahlwerk und im Werk Aue war es vor allem die im Röhrenwerk neu eingeführte Technik eines Drei-Walzen-Planetenschrägwalzwerkes (PSW), auf die man große Hoffnungen setzte.
Mit der Hochumformungstechnik des PSW-Verfahrens war es erstmals möglich, dünn- und dickwandige Nahtlosrohre in breitem Abmessungsbereich und in großen Längen in einer Hitze – also ohne jegliche Zwischenerwärmung – zu erzeugen. Das bis dahin in der Rohrproduktion noch nicht angewandte Verfahren lief versuchsweise zwischen 1976 und 1978 als Projekt an und wurde vom Bundesministerium für Forschung und Technik finanziell unterstützt.
Kurz nach Einführung des PSW-Verfahrens übertrug der EBV die Hüttenbetriebe 1984 an die Maxhütte (Sulzbach-Rosenberg), eine Tochtergesellschaft der ´Klöckner-Werke AG`, übernahm gleichzeitig 15% der Anteile an der Maxhütte und sicherte sich mit dem neuen Partner einen Abnehmer für den EBV- Hochofenkoks aus Alsdorf (jährlich 500.000 Tonnen). Auf der anderen Seite hatte Klöckner großes Interesse an den Eschweiler Werken. Klöckner hatte mehr Blech gewalzt, als die Europäische Union dem Konzern zugestanden hatte. Um einer hohen Konventionalstrafe zu entgehen, mußte Klöckner Kapazitäten stillegen. Dies geschah mit der Schließung des Walzwerkes Aue. Daneben wurde ein gewisser Erlös beim Verkauf der Walzanlagen an China erzielt. Auch erhielt man 2 Jahre später bei der Schließung des Elektrostahlwerkes eine Prämie.
1987 traf die Nachricht vom Konkurs der Maxhütte die Mitarbeiter des Röhrenwerkes gänzlich unerwartet. Um nicht im Strudel des Niederganges unterzugehen, bildeten Herr Lenzen, der damalige Leiter des Werkes, Herr Dr. Woldt, Gutachter beim Land, Herr Hintzen, Spediteur des Röhrenwerkes, und Herr Wagner, damaliger Bürgermeister der Stadt Eschweiler und vormaliger Betriebsvorsitzender in den EBV-Hüttenbetrieben, eine GmbH, der das Werk vom Sequestor überschrieben wurde. Entscheidend waren finanzielle Hilfen seitens der Landesregierung in Form einer Landesbürgschaft. Dies war nötig, um aus der PSW-Versuchsanlage im Verbund mit den älteren Komponenten des Betriebes eine reibungslos funktionierende, modernisierte Produktionsanlage zu schaffen. Mit der Neugründung erfolgte die Umbenennung in 'ESW Röhrenwerk GmbH'.
1989 waren die Modernisierungen und Umbauten abgeschlossen – 25 Millionen DM waren investiert worden. Seither ist es möglich die erhitzten Stahlblöcke in einer Folge von vier Umformungsschritten – Lochen, Strecken, Reduzieren und Maßwalzen – in einer Hitze zu Rohren umzuformen. Dies hat den großen Vorteil, daß man bei der Herstellung von Rohren flexibler ist: Ein breites Spektrum von Rohren kann je nach Bedarf in kleineren oder größeren Losgrößen angeboten werden. Auch bereitet eine rasche Umstellung der Maschinen keine Probleme mehr. 2001 stellten 317 Mitarbeiter 72.000 Tonnen Rohre her.
Ein Blick auf die letzten Jahre läßt neue Herausforderungen erkennen. Die Konkurrenz, z.B. Mannesmann, schläft nicht. Die Energiepreise sind gestiegen, die Preise auf dem Stahlmarkt hingegen sinken. In solchen Zeiten können größere Unternehmen wesentlich leichter längere Durststrecken überwinden. Hinzu kommt, daß in den letzten vier Jahren nur wenige Investitionen getätigt werden konnten. Daher ist man in Eschweiler dabei, neue Konzepte umzusetzen. Zunächst ging man dazu über, die Produkte in anderer Form und in direktem Kontakt zum Endverbraucher auf den Markt zu bringen. Auch sollte der Kunde eine intensivere Betreuung erfahren. Schließlich wurde eine Optimierung innerbetrieblicher Abläufe angestrebt, um Störzeiten zu verkürzen und Fehler frühzeitig zu erkennen. Durch Erreichen dieser Ziele hoffte man eine beträchtliche Senkung der Kosten herbeiführen zu können. Daneben wurden Projektgruppen gebildet und Schichtgespräche durchgeführt – Maßnahmen, die die Mitarbeiter zu einer dauerhaften Weiterbildung anregen sollen, um damit eine erhöhte Qualifizierung der Belegschaft zu erreichen. Man möchte sie befähigen, ihre Aufgaben verantwortungsbe- wußter auszuüben, damit sie flexibler eingesetzt werden können, bzw. einen größeren Handlungs- und Entscheidungsspielraum erhalten.
Bei der Planung und Umsetzung dieser innerbetrieblichen Maßnahmen griff die Geschäftsführung der ESW-Röhrenwerke zwischen 1998 und 1999 auf ein Projekt des Landes NRW und der EU zurück – ´ regio R.U.N.` -, das um präventive Arbeitsmarktpolitik bemüht ist. So sollen bereits Beschäftigte gefördert werden, um qualifizierter tätig zu sein. Bei Durchführung des Projekts half das Aachener Beratungsunternehmen ´M, A & T` (Mensch, Arbeit und Technik). Diese Maßnahmen haben bereits zu einigen Erfolgen geführt: So konnten die Hilfs-, Betriebs- Verpackungs- und Werkzeugkostenkosten von 82,54 DM pro Tonne auf 63,77 DM reduziert werden, was einer Einsparung von 1,3 Mio. DM entspricht. Durch ein Umweltmanagementsystem ließ sich eine weitere Senkung der Kosten um 100.000 DM herbeiführen. Erfreulich ist, daß im Zuge dieses Projektes eine Erhöhung des Betriebspersonals von 297 auf 320 Mitarbeiter möglich wurde.
Die Herstellung der Rohre beginnt mit der Blockvorbereitung und Dreherei, die seit dem Ende der EBV- Abteilung ´Stahlbau` (Ortsteil Hasselt) in deren Hallen untergebracht sind. In diesem Werksteil werden Walzen für Walzgerüste vorbereitet, sowie Stahlblöcke unterschiedlicher Qualität in Längen bis zu 2m und einem Durchmesser von 270 oder 310 mm zugeschnitten. Anschließend erfolgt im Hauptwerk der Vorgang der Rohrfertigung. Zu Beginn der Rohrfertigung werden die bis zu 2m langen runden Stahlblöcke in einem Drehherdofen auf Walztemperatur erhitzt. Im Auslaufrohrgang wird die Oberfläche der nun glühenden Blöcke für die anschließende erste Warmumformstufe gesäubert. Dann formt ein Lochwalzwerk einen Hohlraum in die Blöcke. Diese werden ausgeblasen und automatisch zur zweiten Umformstufe - dem Drei-Walzen-Planetenschrägwalzwerk (PSW) – transportiert. Drei um 120° versetzten Walzen strecken den Hohlblock zusammen mit einer Dornstange zu einem Rohr. Während jede Walze um ihre eigene Achse rotiert, umlaufen gleichzeitig alle drei Walzen wie Planeten den Hohlblock. Dieser wird dabei so gestreckt, daß er in einem direkt dahinter befindlichen Reduzier- und Maßwalzwerk - der dritten Umformstufe – zu fertigen Rohren ausgewalzt werden kann. Der Außendurchmesser und die Wanddicke der Rohre werden laufend geprüft, so daß der Walzprozeß millimetergenau vonstatten geht. Die anschließenden Einrichtungen dienen der langsamen Kühlung, dem Richten und Zurechtsägen der Rohre, dem Entgraten, Anfasen, Wiegen und Messen. Schließlich werden die Rohre auftragsgemäß gebündelt ins Versandlager transportiert.
(Der Aufsatz erschien zuerst 2004 in der Zeitschrift des Eschweiler Geschichtsvereins, Bd. 23)